DASDA

"Kulturgut darf nicht zum Ballast werden – wenn es denn keine lebendige Verwendung dafür gibt, wenn es nicht immer wieder aktiviert und in neuen Bezugssystemen erlebt und gewertet werden kann, ersticken wir daran."

Peter F. Althaus

Erinnern ist ein zentrales Moment in den Bildobjekten und Skulpturen der 1941 geborenen Künstlerin Heide Khatschaturian.

An unterschiedlichsten Orten sammelt und erwirbt sie Dinge vielfältiger Herkunft, Form, Material und Verwendungszweck. Darunter finden sich ebenso intime Erinnerungen an Familienmitglieder und Begegnungen mit Freunden wie auch Treibgut oder die Beute von Streifzügen durch Firmennachlässe und andere öffentliche Fundgruben. Dieses über Jahrzehnte gewachsene und immer wieder runderneuerte Repositorium speist die Arbeit im Atelier.

Dort werden aus dem Material einzelne Elemente bestimmt und in Werkserien verarbeitet, die selbst wieder Teil von Kreisläufen fortwährender Be- und Verarbeitung sind. Heide Khatschaturian arbeitet bevorzugt mit der Technik der Collage. Drucke und Farb- und Wachsaufträge überlagen in verschiedenen Schichten Elemente aus Textilien, Holz, Kunststoffen und Metall.

Entscheidendes Merkmal dieser Arbeiten ist, dass sie nicht für immer fixiert sind, sondern als Palimpseste eine Erneuerung erfahren können. Als Palimpsest wird die Wiederverwendung von (in der Antike) beschriebenem Papier bezeichnet, bei der durch Ausradieren oder Bleichen der ursprüngliche Text nahezu, aber nicht vollständig entfernt wird, bevor das Papier schließlich mit einem neuen Text beschrieben wird. Im Palimpsest erhalten sich also Überlagerungen der Zeugnisse aus verschiedenen Zeiten.

Diese Spielart des „Recyclings“, das in Antike und Mittelalter auf der Knappheit des wertvollen Papiers beruhte, wendet Heide Khatschaturian bewusst als künstlerische Strategie im Umgang mit Erinnerungen und Materialien an. In der schonungslosen Auflösung bereits bestehender Arbeiten durch Kratzen, Reißen, Ablösen oder das Auftragen von neuen Elementen durch Überdrucken, Lasieren und Kleben erfahren die Motive immer wieder eine Aktualisierung. Viele Motive sind in einzelnen Arbeiten und Werkserien über lange Zeiträume erhalten. Die Betrachter_innen, die auf Spurensuche gehen, werden Vertrautes wiederfinden, aber es werden neue Bezüge und eine aus der Gegenwart der Künstlerin gewonnene Haltung zur Vergangenheit sichtbar.

Heide Khatschaturians Arbeit wird getragen von einer großen Zuversicht in die Lebendigkeit der eigenen Erinnerungen und in die Kraft eines schöpferischen Umgangs damit. Erinnerung ist für sie kein Akt, der mit bestimmten Erinnerungsstücken für immer abgelegt, d.h. fixiert werden kann, sondern bei dem die Vergangenheit immer wieder aufs Neue in der Gegenwart verarbeitet und erarbeitet werden muss. Diese Veränderung ermöglicht erst eine lebendige Form der Bewahrung und eine Vertiefung des Bewusstseins für die Vergangenheit, denn durch neue Schichtungen und Konstellationen wird die Wahrnehmung des Hier und Jetzt in Beziehung gesetzt zum Erleben der eigenen Geschichte.

Die Ausstellung DASDA eröffnet den Blick in das Bezugssystem Heide Khatschaturians, in dem die Dinge auch in Zukunft neue und herausfordernde Verwendungen finden werden.

Felix Sattler, Berlin 2016